Etwas Magie und Weihnachtswunder gefällig? Anlässlich des Adventskalenders von Thussi Haugsberger auf Facebook entstand die folgende Geschichte:
Advent bei den Hoffs
Der Winter nahte. Aber wie bei einem Kitzeln in der Nase, das uns nur beinahe zum Niesen bringt, blieb auch der Schnee aus. Es war bereits der zwölfte Dezember und keine einzige Schneeflocke hatte seit dem letzten Januar den Boden und die Dächer der Kleinstadt zwischen den drei Hügeln berührt. Die Wälder ringsherum hatten ihr Grün und später auch ihre Herbstfarben an den ewigen Kreislauf des Lebens abgegeben.
Die Menschen zündeten das Feuer in ihren Kaminen an und dekorierten die Häuser innen und außen mit Lichtern und allerlei Figuren und Sternen. So auch die Familie Hoff. Gerade backten Mama Jule und Tochter Luise Plätzchen für Weihnachten, füllten einige der Leckereien in dickbauchige Einweckgläser und verzierten die Deckel mit rotem Stoff und viel Glitzer. Das waren die Geschenke für die Großeltern, Onkel und Tanten.
Papa Fabian saß auf dem Sofa und surfte durch das nachmittägliche Fernsehprogramm. Ein tiefer Seufzer entfloh seiner Kehle und schwebte durch das Haus, vorbei an den beiden Mädels in der Küche. Es erreichte sogar Jona, der oben in seinem Zimmer auf dem Bett hockte, seine Nase am Fenster plattdrückte und die Wolken studierte. Keine einzige Schneewolke in Sicht. Der Junge kletterte vom Bett und schlich auf Strümpfen hinunter zu seinem Vater.
»Duhu, Papa.«
»Ja, Schatz.«
»Können wir rausgehen?«
»Ach, ich weiß nicht. Ich müsste noch den Keller aufräumen.«
Aus der Küche meldete sich seine Frau: »Werf bei der Gelegenheit doch gleich mal den ollen Schlitten mit auf den Sperrmüll, ja?«
»Hm«, murmelte ihr Mann, stand vom Sofa auf und schob seinen Sohn vor sich her in Richtung Kellertür.
Der Keller bestand aus nur einem Raum, etwa vier mal vier Meter groß. Die Treppe mit den morschen Holzstufen schlängelte sich ohne Geländer an der Wand entlang. In der Mitte der Decke hing eine nackte Glühbirne, die wohl schon älter war als der zehnjährige Jona. Vor vielen Jahren war dieser Raum von Fabians Großvater mühevoll in den Felsen gehauen worden. Hier unten lagerte allerlei Krimskrams. Eingemachtes von Oma, altes Geschirr für die nächste Polterhochzeit, Gebasteltes und Gemaltes der Kinder, Andenken an die Kindheit der Eltern. So auch Fabians Schlitten. Es war ein ganz einfaches Modell für zwei Kinderpopos. Vorn bot ein Paar kreisrunde Hörner den Kinderhänden Gelegenheit zum Festhalten. Der einst gelbe Kunstfaserstrick war längst vergilbt, das Holz schien noch tadellos in Schuss. Nur die Kufen rosteten seit vielen Jahren vor sich hin. Fabi konnte sich gar nicht mehr an den letzten schneereichen Winter erinnern.
»Hilf mir mal, den Schlitten rauszuheben«, bat er seinen Sohn.
Der schaute ihn mit großen Augen an. »Du willst den doch nicht wirklich ...«
»Nee, ich schaue nur erstmal, ob es sich noch lohnt, ihn aufzuheben.«
Jona stemmte seine Hände in die Hüften. »Und ob sich das noch lohnt.«
Fabian legte eine Hand besänftigend auf die Schulter seines Sohnes. »Aber es schneit nicht. Es wird wahrscheinlich nie wieder schneien.«
»Trotzdem!« Jona schaute seinen Vater entschlossen an.
»Lass uns schauen, ob wir nur neue Kufen brauchen, ok?«
Jona nickte.
Fabian trug eine Kiste mit Müll bis in den Flur hinauf, Jona folgte mit dem Schlitten. Die Sonne wirkte aus dem kamingewärmten Haus heraus, als herrschten draußen Frühlingstemperaturen, jedoch drückte sie nur die Kälte auf den Boden und spiegelte sich im Eis der Pfützen. Vater und Sohn zogen ihre Mäntel und Winterstiefel an und gingen hinaus in den Garten. Bei Tageslicht sahen sie, dass ein paar Holzwürmer in dem Schlitten eingezogen waren. Die Kufen ließen sich vielleicht noch behandeln, aber neue wären sicher besser.
Fabi sah die traurigen Kinderaugen, dennoch musste er realistisch bleiben. »Ich glaube, der Aufwand lohnt sich nicht mehr.«
Jonas Augen füllten sich mit Tränen, die er schnell mit dem Jackenärmel wegwischte.
Über ihnen in den Zweigen der mindestens einhundert Jahre alten und dreißig Meter hohen Eiche, die im Sommer viel Schatten spendete, jetzt aber die Sonnenstrahlen bis auf den Rasen vordringen ließ, raschelte es, kurz darauf erklang ein leises »Hatschi!«
Jona blickte nach oben. Da saß ein Männlein im rot-grün gestreiften Pullover. Seine Hose war braun. Auf dem Kopf trug es eine grüne Zipfelmütze mit brauner Bommel. Jona schaute weg, wieder hin, wieder weg, wieder hin. Das konnte unmöglich echt sein. Als Jonas Blick etwas länger an dem Männlein hängen blieb, lächelte es und winkte dem Jungen zu.
Während sein Vater redete und redete, beobachtete Jona, wie sich das Männlein von Ast zu Ast hangelte und am Stamm hinabgleiten ließ, bis es direkt vor ihm stand. Die Spitze der Zipfelmütze erreichte gerade so Jonas Knie.
Es lächelte wieder und fragte mit tieferer Stimme als erwartet: »Hast du einen Wunsch, Jona?«
»Kommst du vom Weihnachtsmann?«
Doch statt der des Männleins drang die Stimme seines Vaters zu Jona durch. »Wie? Vom Weihnachtsmann? Was redest du denn da?«
»Ich meine doch nicht dich, sondern ...« Er stockte, denn ihm wurde klar, dass sein Vater den Wicht gar nicht sehen konnte. »Mir kam nur eine Geschichte in den Kopf, entschuldige.«
Papa schaute ihn eine Weile nachdenklich an, sagte dann aber nur: »Ich gehe mal eben in die Garage.«
Als Papa in der Garage verschwunden und die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, hockte sich Jona auf den Boden. »Kommst du vom Weihnachtsmann?«
Die Lippen des Männleins verzogen sich so weit, dass sie beinahe vom einen spitzen Ohr zum anderen reichten und die roten Bäckchen hervortraten. »Ich kenne deinen Wunsch.« Das Männlein wirbelte mit einer Hand durch die Luft. Ein weißes Sternchen segelte an Jonas Auge vorbei und setzte sich auf seine Nase. Viele weitere folgten und verwandelten den Garten in eine glitzernde Schneelandschaft.
Das Männlein legte einen Zeigefinger an seine Lippen, kniff ein Auge fest zusammen und ließ seinen Blick gen Himmel gleiten. »Hm. Immer kann ich es nicht schneien lassen, aber vielleicht kann Schlitti ja auch auf etwas anderem fahren, als auf Kufen?«
In dem Moment quietschte die Garagentür. Jona drehte sich um. Papa hielt ein paar alte Räder in den Händen, blieb abrupt stehen und schaute sich um. Seine Augen zeigten pure Verwunderung, bis sein Blick auf Jona fiel. Papa setzte einen Fuß vor den anderen in den Schnee, blieb kurz stehen und betrachtete seine Spuren. »Schnee?« Er schaute in den Himmel. »Aber da ist doch gar keine Wolke?«
»Vielleicht ist die ja jetzt leer und hat sich aufgelöst.« Jona grinste und drehte sich um zu dem Männlein. Doch das war ohne Spuren im Schnee verschwunden.